Thema "SCHMERZ" beim Heilnetz-Abend in Bielefeld

Der Heilnetz-Abend zum Thema „Schmerz“ liegt hinter uns. Die Heilnetz-Abende in Bielefeld eröffnen KollegInnen aus den ganzheitlich orientierten Gesundheitsberufen die Möglichkeit, ihre Arbeit vorzustellen. 

Am 1. März haben nun mein Kollege Ulrich Reiske aus Bielefeld und ich unsere gänzlich unterschiedlichen Behandlungsansätze bei Schmerzen vorgestellt.

 

 

Während Ulrich Reiske die Schmerztherapie nach Liebscher und Bracht erläuterte, stellte ich die Inneren Übungen der Wudangtradition vor. So unterschiedlich unsere Ansätze auch sein mögen - wie wunderbar, dass es in der Schmerztherapie diese Vielfalt gibt!

 

Die "Inneren Qigong-Übungen aus der Wudangtradition" und ihre Rolle als Achtsamkeitsübungen in der Therapie chronischer Schmerzzustände

 

Chronischer Schmerz ist nach meinem Verständnis immer nur versteh- aber selten kausal erklärbar, weil er letztlich ein höchst individuelles Erleben eines schmerzhaften Zustandes ist, der sich von einer eindeutig isolierbaren Ursache abgekoppelt hat.

In diesem Zusammenhang kennen wir das Wort „Schmerzgedächtnis“: Die Ursache des Schmerzes liegt schon eine Weile zurück, wurde vielleicht sogar behoben oder gelindert, aber der Schmerz besteht weiterhin. Oder aber das schmerzauslösende Geschehen lässt sich nicht oder nur schwer beheben.

 

Im Ergebnis gestaltet sich dieses Geschehen für Betroffene oftmals so, dass ihre Gedanken, aber auch ihr Fühlen und Handeln immer mehr und im Extremfall ausschließlich durch den Schmerz bestimmt sind. Und es ist sicher nachvollziehbar, dass sich das (Er-)Leben auf diese Weise immer mehr einengt, dass die innere Welt sehr klein wird.

 

Es kann übrigens sehr lange dauern, bis chronische Schmerzen als solche von Behandlern erkannt werden. Betroffene sind oft jahrelang unterwegs, suchen nach geeigneten Methoden – oder auch der "EINEN" Methode, die die Schmerzen wegmachen, beseitigen kann.

Genau das ist auch leider die Krux bei der ganzen Methodenvielfalt: Durch die stets wieder neu genährte Hoffnung, dass mir diese Methode jetzt helfen möge, verfestigt sich der Schmerz auf neurophysiologischer Ebene. Ich spüre in den Schmerz, um zu erforschen, ob die Therapie schon wirkt; vielleicht ärgere ich mich aber auch, dass ich schon wieder Geld zur Behandlung der Schmerzen ausgegeben habe - allein dadurch erhält der Schmerz eine enorme Aufmerksamkeit.

 

Oder anders: Die Schmerzzustände halten mich vielleicht davon ab, das zu tun, was ich eigentlich gern tun würde, wozu ich aber schmerzfrei sein müsste – Sport zum Beispiel. Oder ganz banal: Kinobesuche.

Neuroplastizität funktioniert eben auch so: Der Schmerz wird auf diese Weise zu einem raumfordernden Prozess.

Da man den Schmerz also nicht einfach so wieder entfernen kann, muss man neue Wege beschreiten. Dabei sollte man auch berücksichtigen, dass der Schmerz in der Regel zu einem (im weitesten Sinne) negativen Körperempfinden führt, dem – mit welchen Methoden auch immer – wieder ein positives Erleben entgegengesetzt werden sollte.

 

Spätestens hier kommen die Entspannungsmethoden ins Spiel, die auch in der konservativen, aber multimodalen Schmerztherapie eine große Rolle spielen.

Sehr gut erforscht sind in diesem Zusammenhang übrigens die Progressive Muskelentspannung und das Autogene Training, aber auch Hypnose und Fantasiereisen kommen zum Einsatz.

Was wird im herkömmlichen Sinne hier als „Entspannung“ verstanden?

Zum einen kann man v.a. mit der PMR die Muskelspannung reduzieren, so dass dem Schmerz auf dieser – ja: fast banalen – Ebene schon ein Stück weit die Nahrung entzogen wird.

Ein weiterer wichtiger Effekt ist, dass dem Gefühl, dem Schmerz ausgeliefert zu sein, entgegen gewirkt wird, indem man wieder ein Stück Autonomie erlangt, sich selbst als wieder als wirksam handelnd erleben kann.

 

Was sind nun die „Inneren Übungen“, und was können sie in der Schmerztherapie leisten?

Die Übungen an sich lassen sich im Prinzip als klar angeleitete Meditationsübungen beschreiben: Der Geist erhält eine Aufgabe, die ihn beschäftigt, so dass es ihm schwerer fällt, abzudriften.  Entsprechend ihres eigentlichen Ursprungs im Daoismus, dienen die Übungen eigentlich dazu, in den Zustand des WU WEI zu kommen, des "Handelns im Nichthandeln".

 

Von fortgeschrittenen Zen-Meditierenden weiß man, dass sie in einen Zustand kommen, der sehr spezifische Hirnstrommuster zeigt, nämlich ähnlich dem Zustand, den jeder von uns auf der Schwelle zum Einschlafen kennt. Man könnte auch sagen: Die Meditierenden befinden sich in einem völlig präsenten Gewahrsein; alle Sinne sind wach, aber die Bedeutung des Wahrgenommenen wird von dem eigentlichen Sinneseindruck abgekoppelt.

 

Und genau das ist ein Zustand, der für Schmerzpatienten erstrebenswert erscheinen mag: Der Schmerz ist nach wie vor da, aber er hat wenig bis keine Bedeutung für mich.

Wie kommt man nun in diesen Zustand? Willentlich kann man ihn kaum herbeiführen; im Gegenteil: je mehr ich mir wünsche, in diesen Zustand zu kommen, desto unwahrscheinlicher wird es, dass ich ihn erreiche.

Der „Clou“ der Inneren Übungen ist nun, dass man sich auch gar nicht darum kümmert, sondern einfach nur die Übung macht; alles andere kommt von selbst. Oder auch nicht. Der Geist wird auf eine ihm gemäße Art beschäftigt, so dass er nicht ständig abhauen kann – eine Grundvoraussetzung dafür, dass Körper und Geist eine Einheit sind.

 

Natalie Nicola von der Heilnetz-Redaktion hat übrigens einen Bericht zu dem Heilnetz-Abend geschrieben, den Sie hier finden.

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